2. Teil: Streifzug durch die Jetzt-Zeit
Die Zeitreise durch die Geschichte der Zeichensetzung im ersten Teil dieses Beitrags umfasste über 3 000 Jahre: von den ersten gemeißelten Punkten und Strichen auf der Mescha-Stele im Heiligen Land bis zu den Emoticons der globalen elektronischen Kommunikation. Diese Zeitreise veranschaulichte, wie komfortabel Schreiben und Lesen heutzutage sind. Denn das moderne Zeichensetzungssystem des Deutschen folgt einer verbindlichen Norm: Es verfügt über ein festes Inventar an Zeichen, die grafische Gestalt der Zeichen und ihre Benennung sind festgelegt, und ihre Verwendung im Text ist geregelt. Doch trotz aller Normierung eröffnet das Regelwerk auch Gestaltungsräume, die eine nuancierte und differenzierte Darstellung von Gedanken und Ideen in der geschriebenen Sprache erlauben.
Folgen Sie mir nun auf einen Streifzug durch die Jetzt-Zeit. Dabei gehen wir den Fragen nach, wie sich die Zeichensetzung in der Sprache widerspiegelt, wie das heutige Inventar der Zeichensetzung beschaffen und normiert ist, welche vielfältigen Funktionen die Zeichensetzung erfüllt und welche Konsequenzen dies für die Praxis des Textverfassens hat.
1. Die Zeichensetzung im Spiegel der Sprache
Die Zeichensetzung hat auf vielfältige Art Eingang in unsere Sprache und Kommunikation gefunden. So sagen wir: „Nun mach aber mal 'nen Punkt!" Und meinen: „Stopp! Bis hierhin und nicht weiter!" Oder wir sagen: „Du stehst da wie ein Fragezeichen!" Und wir meinen damit: „Stell Dich endlich gerade hin! Mach nicht immer so einen Buckel!" Wir sagen auch: „Du redest heute wieder ohne Punkt und Komma!" Eigentlich meinen wir aber: „Geht's auch langsamer? Darf ich auch mal was sagen?"
Satzzeichen treten nicht nur in Redewendungen auf, sondern auch in dem uns allen bekannten Kinderreim: „Punkt, Punkt, Komma, Strich, fertig ist das Mondgesicht."
Redner artikulieren Satzzeichen, um ihren Aussagen schon beim Sprechen besonderen Nachdruck zu verleihen. Sie sagen: „Was wahr ist, ist wahr – Punkt." Sie formulieren auch: „Dieser Aspekt ist uns besonders wichtig – Ausrufezeichen." Oder es heißt: „Hinter diese Frage setze ich etliche Fragezeichen." Man kann hinter seine Frage stattdessen auch ein großes oder sogar ein dickes Fragezeichen setzen. Zu hören ist auch die Aufforderung „Klammer auf", ihr folgt allerdings selten die Wendung „Klammer zu". Manchmal versagt die Sprache vollends: Statt die wunderschönen Wörter „Hasenöhrchen" oder „Gänsefüßchen" zu verwenden, werden die Anführungszeichen gestenreich in die Luft gemalt.
Schriftsteller verzichten in ihren Werken zuweilen ganz auf die Zeichensetzung, wie beispielsweise James Joyce in dem letzten Kapitel seines „Ulysses". Den inneren Monolog Molly Blooms gestaltet der irische Autor ohne jegliches Satzzeichen, was zwar die ohnehin anspruchsvolle Lektüre zusätzlich erschwert, das Mäandern des Gedankenstroms aber besonders anschaulich macht. – Der französische Schriftsteller Victor Hugo hingegen kommunizierte mit seinem Verleger per Telegramm ausschließlich mithilfe von Satzzeichen: Um die Verkaufszahlen seines Romans „Les Misérables" in Erfahrung zu bringen, telegrafierte er ein Fragezeichen, worauf ihm sein Verleger mit einem telegrafierten Ausrufezeichen antwortete (Truss, S. 117).
Auch die Wissenschaft nimmt die Zeichensetzung nicht mehr nur als Hintergrundphänomen, als in der Peripherie der Sprache befindlich wahr (O'Connell/Kowal, S. 80). Dabei stehen zwei Fragen im Fokus der wissenschaftlichen Betrachtung: zum einen die Frage nach der historischen Entwicklung der Zeichensetzung insgesamt und der einzelner Satzzeichen, zum anderen die Frage nach den Funktionen der einzelnen Satzzeichen und ihrer Bedeutung für das Lesen.
Die Sprache selbst, die Ausführungen von Literaten und auch die Wissenschaft legen Zeugnis davon ab, dass die Zeichensetzung ein wichtiges Instrumentarium der Kommunikation zwischen Schreibenden und Lesenden ist. Die Zeichensetzung ist heute selbstverständlicher Teil der geschriebenen Sprache. Durch sie wird das rasche und eindeutige Verstehen von Texten erleichtert, wenn nicht gar erst möglich gemacht.
2. Das moderne Zeichensetzungssystem des Deutschen
Unter Zeichensetzung verstehen wir heute ein System grafischer Elemente, die der Gliederung im Satzinneren und zwischen Sätzen dienen. Wenden wir uns zunächst der Frage zu, welchen Stellenwert dieses System im geschriebenen Deutsch hat.
Unsere Schrift umfasst zwei Arten von Schriftzeichen: die alphabetischen und die nicht alphabetischen Schriftzeichen. Unter die alphabetischen Schriftzeichen fallen die Buchstaben, und zwar sowohl die Klein- als auch die Großbuchstaben. Zur Gruppe der nicht alphabetischen Schriftzeichen gehören unter anderem: die arabischen und römischen Ziffern, die sogenannten informationstragenden Sonderzeichen, wie zum Beispiel €, @, %, &, und mathematische Symbole sowie – last, but not least – die Zeichensetzung. All diese nicht alphabetischen Sonderzeichen werden beim (lauten) Lesen verbalisiert. Wir formulieren also „Euro", „at", „Prozent" sowie „und". Bei den Satzzeichen verhält es sich anders. Diese werden nicht verbalisiert; wir geben sie vielmehr durch die prosodische Gestaltung beim (lauten) Lesen wieder: durch Pausen, Betonungen, Rhythmus, Stimmführung usw.
Die Zeichensetzung ist also ein nicht alphabetisches System. Sie umfasst ein klar umrissenes Inventar von Zeichen: sowohl Satzzeichen als auch Wortzeichen. Satzzeichen markieren Sinnabschnitte und syntaktische Einheiten sowie Aspekte der Prosodie und können der stilistischen Gestaltung dienen. Wortzeichen verdeutlichen dagegen morphemische Strukturen auf der Ebene der Wortbildung. Das im Folgenden dargestellte Inventar umfasst alle Zeichen, deren Anwendung im Amtlichen Regelwerk normiert ist; darüber hinaus gibt es weitere Zeichen (Bredel, S. 23/24), die in diesem Beitrag nicht behandelt werden.
Zu den Satzzeichen zählen zur Kennzeichnung des Satzschlusses der Punkt, das Ausrufezeichen und das Fragezeichen; zur Gliederung innerhalb von Sätzen das Komma, das Semikolon, der Doppelpunkt, der Gedankenstrich und die Klammern; und schließlich zur Anführung von Äußerungen oder Textstellen bzw. zur Hervorhebung von Wörtern oder Textstellen die Anführungszeichen.
Zu den Wortzeichen gehören der Punkt nach Abkürzungen und nach Ordinalzahlen sowie zur Gliederung bei Ziffernschreibung und Datumsangaben, der Doppelpunkt als Verhältniszeichen zwischen Ziffern, der Schrägstrich, der Apostroph, der Bindestrich, der Ergänzungsstrich, der Trennstrich sowie zur Auslassung von Buchstaben und Wörtern die Auslassungspunkte.
Neben den Zeichen, die auf der Wort- oder der Satzebene verwendet werden, kommt der Gedankenstrich auch auf der textuellen Ebene vor. So kann zwischen Sätzen, die durch einen Punkt voneinander abgetrennt werden, der Gedankenstrich verwendet werden, beispielsweise um eine Pause zu markieren oder um das Absatzzeichen zu ersetzen.
Es gibt im Deutschen sogenannte paarige Satzzeichen wie die Anführungszeichen und die Klammern, Satzzeichen wie Komma und Gedankenstrich, die je nach Kontext paarig auftreten können, sowie solche Satzzeichen, die immer einfach verwendet werden wie Punkt, Ausrufezeichen, Fragezeichen, Semikolon und Doppelpunkt.
3. Normierung und Gestaltungsräume der Zeichensetzung
Die Verwendung der Satzzeichen unterliegt im Deutschen einem Regelwerk, das seit dem 1. August 2006 in deutschen Schulen und Behörden verbindlich ist. Dieses Regelwerk fußt auf einer 130‑jährigen Entwicklung der Vereinheitlichung der deutschen Rechtschreibung und damit auch der Zeichensetzung. Denn schon 1876 verfasste Konrad Duden den „Versuch einer deutschen Interpunktionslehre". Diese und folgende Bestrebungen mündeten 130 Jahre später in Teil E der Amtlichen Regelung der deutschen Rechtschreibung.
Wer noch die 24. Auflage des Rechtschreibdudens besitzt, findet den Text des Regelwerks im Anhang, S. 1161–1216. Wer die 25. Auflage in Händen hält, greife auf das alphabetische Verzeichnis zu Rechtschreibung und Zeichensetzung, S. 25– 98, zurück. In Buchform liegt das Regelwerk ebenso vor, und zwar 2006 herausgegeben vom Rat für deutsche Rechtschreibung. Das Regelwerk ist auch über die Internetadresse http://rechtschreibrat.ids-mannheim.de für jedermann kostenfrei einsehbar und kann dort heruntergeladen werden.
Eine wertvolle Fundgrube ist darüber hinaus das 2011 neu aufgelegte Duden-Taschenbuch „Komma, Punkt und alle anderen Satzzeichen", das neben dem Regelteil und einem Register zum schnellen Nachschlagen eine Tabelle mit alphabetisch geordneten Konjunktionen von „aber" bis „zumal" zur Kommasetzung enthält. Henning van de Loo hat unter der Überschrift: „,Kommt da eigentlich ein Komma hin?' – Ein Spaziergang durch ein nützliches Buch zum Thema Zeichensetzung" eine Besprechung in der „Neuen Stenografischen Praxis" zu einer vorherigen Auflage verfasst. Wer seine Kenntnisse der Zeichensetzung einer Prüfung unterziehen möchte, greife zurück auf das Lehr- und Übungsbuch „So schreibt man jetzt!" des Dudenverlages.
Dank der Rechtschreibreform ist die Zeichensetzung seit 2006 also offizieller Teil der Rechtschreibung; wir verfügen daher über Regeln für die Anwendung der einzelnen Satzzeichen. Dabei handelt es sich vorwiegend um Mussregeln und um einige Kannregeln. Zu den Letztgenannten gehört beispielsweise die Kommasetzung bei Hauptsätzen, die mit „und" bzw. „oder" verbunden werden. Hier kann ein Komma gesetzt werden, muss aber nicht. Diese und andere Kannregeln führen zwar dazu, dass weniger Fehler gemacht werden, aber sie erschweren die Einheitlichkeit der Zeichensetzung innerhalb eines – vor allem längeren – Textes, an dem gegebenenfalls sogar mehrere Verfasserinnen und Verfasser beteiligt sind.
Darüber hinaus legt das Regelwerk fest, in welcher Weise die einzelnen Satzzeichen miteinander kombiniert werden können, zum Beispiel das Frage- und das Ausrufezeichen oder der Gedankenstrich und das Komma. Schlussendlich verweist das Regelwerk auf Möglichkeiten für die alternative Verwendung von Satzzeichen, insbesondere im Satzinneren, beispielsweise Semikolon statt Punkt bzw. Komma oder Gedankenstriche statt Kommas, um eine Parenthese darzustellen.
Wir müssen uns trotzdem deutlich vor Augen führen: Auch wenn die Zeichensetzung nun fester Teil der Rechtschreibung ist, so kann sie „nicht mit der Strenge und Ausschließlichkeit gehandhabt werden, die den Regeln der Rechtschreibung" (Stang/Steinhauer, S. 11) zukommen. Denn die Zeichensetzung ist auch ein Mittel der stilistischen Gestaltung. Dies wird beispielsweise bei der Verwendung des Semikolons deutlich, das eine Mittelstellung zwischen Punkt und Komma einnimmt: Es trennt stärker als ein Komma und schwächer als ein Punkt. Daher haben die Schreibenden beim Semikolon einen größeren Spielraum als bei anderen Satzzeichen.
Schon Konrad Duden hat deutlich gemacht, dass die Zeichensetzung gewisse Freiheiten zulässt. Seine einleitenden Worte im sogenannten Buchdruckerduden von 1903 sind auch heute noch gültig:
Nicht immer lassen sich die verschiedenen Zwecke der Zeichensetzung zugleich erreichen. Zuweilen erfordert die grammatische Gliederung ein Zeichen, wo der Redende keine Pause macht, und umgekehrt. Oft kann auch der Schreibende die Satzzeichen zur feineren Schattierung des Gedankens verwenden. Aus diesen Gründen lassen sich nicht für alle Fälle unbedingt gültige Regeln aufstellen; es muß vielmehr dem Schriftsteller eine gewisse Freiheit bewahrt bleiben. In der Hauptsache bestehen jedoch feste Regeln, die überall zu befolgen sind, wo der Schriftsteller nicht anders bestimmt. (Stang/Seinhauer, S. 11)
Auch wenn die Zeichensetzung im Deutschen stärker normiert ist als in anderen europäischen Sprachen, bleibt durch das Nebeneinander von Muss- und Kannregeln und durch die alternativen Möglichkeiten, Satzzeichen zu verwenden, ein Gestaltungsraum, der die Freiheit, aber auch die Verantwortung des Textverfassens begründet. Zeichensetzung ist also niemals Selbstzweck und basiert nicht auf der schablonenhaften Anwendung von Regeln. Ihre Wirksamkeit beruht vielmehr auf ihrer funktionalen Integration in den Text und ihrer differenzierten Verwendung.
4. Die Funktionen der Zeichensetzung
Die bildhaftesten Versuche, die Funktionen der Zeichensetzung zu beschreiben, finden sich in dem Bestseller „Eats, Shoots & Leaves" der britischen Autorin Lynne Truss. Darin stellt sie zum einen die Geschichte der Zeichensetzung und die Funktionen einzelner Satz- und Wortzeichen anschaulich dar, zum anderen erzählt sie amüsante Geschichten rund um die Zeichensetzung. Der Buchtitel spielt auf eine dieser Geschichten an, in der ein Panda die Hauptrolle einnimmt. Ohne Komma gelesen isst der Panda Sprösslinge und Blätter, mit Komma gelesen isst, schießt und verzieht er sich.
Lynne Truss präsentiert in diesem Werk eine Vielzahl von Bildern, um die Funktionen der Zeichensetzung deutlich zu machen. So verweist sie darauf, dass uns Punkt, Komma & Co. wie Verkehrssignale durch die geschriebene Sprache leiten: „Punctuation marks are the traffic signals of language: they tell us to slow down, notice this, take a detour, and stop." (S. 22) Zeichensetzung kann auch als Faden verstanden werden, der das Textgewebe zusammenhält (S. 22). Sie vergleicht einen Text mit einem Zug, der mithilfe des Schienensystems Zeichensetzung in der Spur gehalten wird (S. 25). Oder: So wie die Noten den Musiker beim Spielen leiten, dirigiert die Zeichensetzung den Leser (S. 32). Für Lynne Truss ist ein Text ohne Zeichensetzung wie ein Gemälde ohne Konturen (S. 32). Führt man den Lesenden mithilfe der Zeichensetzung zum Textsinn, wird alles klar.
In der Sprache des Regelwerks liest sich dies in den Vorbemerkungen zur Zeichensetzung so:
Die Satzzeichen sind Grenz- und Gliederungszeichen. Sie dienen insbesondere dazu, einen geschriebenen Text übersichtlich zu gestalten und ihn dadurch für den Lesenden überschaubar zu machen. Zudem kann der Schreibende mit den Satzzeichen besondere Aussageabsichten oder Einstellungen zum Ausdruck bringen oder stilistische Wirkungen anstreben.
Anders ausgedrückt: Die Zeichensetzung dient der Metakommunikation zwischen Schreibenden und Lesenden: Jedes Satzzeichen steuert den Lese- und damit den Verstehensprozess. Die einzelnen Satzzeichen erfüllen dabei vier Grundfunktionen: Sie transportieren Informationen über die a) inhaltlich-logischen sowie b) syntaktisch-grammatischen Bezüge, sie sind Ausdruck c) stilistischer Besonderheiten der Schreibenden und simulieren d) prosodische Aspekte des (lauten) Lesens.
Betrachten wir dies beispielhaft am Punkt. So heißt es im Interpunktionsduden:
Der Punkt kennzeichnet das Ende eines Satzes im fortlaufenden Text. Er drückt eine längere Pause aus und deutet gewöhnlich eine Senkung der Stimme an. Der Punkt steht nach gewöhnlichen Aussagesätzen. (Stang/Steinhauer, S. 14)
Nach dieser Definition markiert der Punkt in dem so abgeteilten Textteil einerseits einen inhaltlich-logischen Bezug: Die Satzgrenze schließt eine Sinneinheit ab. Andererseits verweist der Punkt auf eine syntaktisch-grammatische Komponente, die Bezug nimmt auf unser Wissen über die Satzbaupläne von Aussagesätzen. Darüber hinaus simuliert der Punkt eine Pause und das Senken der Stimme, also prosodische Aspekte. Der Punkt insbesondere nach kurzen aufeinanderfolgenden Sinneinheiten entfaltet eine intensive, staccatohafte Wirkung. Überprüfen wir dies beim (lauten) Lesen folgender Szene:
Im Hausflur war es still. Ich drückte erwartungsvoll auf die Klingel. Ein Surren ertönte. Und ich trat ein.
5. Zeichensetzung in der Praxis
Abschließend stellt sich die Frage, wie man beim Textverfassen den vier oben beschriebenen Grundfunktionen der Zeichensetzung gerecht werden kann. Welche Anforderungen werden also an eine angemessene Zeichensetzung gestellt? Hier sei der Versuch unternommen, einen Kriterienkatalog zu formulieren:
1. Regelwerkkonformität
Die Zeichensetzung folgt Teil E der Amtlichen Regelung der deutschen Rechtschreibung.
2. Einheitlichkeit
In den Fällen, in denen das Regelwerk Kannregeln vorsieht, also Varianten beispielsweise für die Kommasetzung zulässt, sollte eine einheitliche Variantenführung vorgenommen werden.
3. Konsistenz
In vergleichbaren Kontexten werden die gleichen Satzzeichen verwendet.
4. Textäquivalenz
Die Zeichensetzung gibt inhaltlich-logische und syntaktisch-grammatische Bezüge, stilistische Besonderheiten und prosodische Aspekte wieder.
5. Minimalinvasivität
Getreu dem Motto „Weniger ist mehr" wird eine Zeichensetzung angestrebt, durch die unauffällige, leicht verständliche und allgemein vertraute Schriftbilder entstehen.
6. Systematik
Im Satzinneren sollte insbesondere bei langen Sätzen ein differenziertes und fein abgestimmtes Zeichensystem Übersichtlichkeit schaffen.
Da allen Kriterien gleichermaßen zu entsprechen einer Quadratur des Kreises gleichkommt, gilt es, eine wohldurchdachte Abwägung vorzunehmen, um dem jeweiligen Einzelfall gerecht zu werden. Das Ziel muss die optimale Steuerung des Lese- und Verstehensprozesses sein. In diesem Sinne formuliert Matthias Wermke, Leiter der Dudenredaktion und Herausgeber des Rechtschreibdudens:
... so dient alles, was wir uns als Schreiber bei der Niederschrift von Wörtern, Sätzen und ganzen Texten abverlangen, einzig und allein dem bequemen Zugang des Lesers zu unseren Botschaften. Der Leser soll ohne optische Hemmnisse die niedergeschriebenen Informationen aufnehmen und verstehen können. Neben der Rechtschreibung im engeren Sinne ist es vor allem die Zeichensetzung, die hierzu einen wesentlichen Beitrag leistet. Wer Satzzeichen setzt, macht sich um den Leser verdient und kommt bei der Vermittlung seiner Inhalte weiter. (S. 149)
Ausblick
Haben wir die Zeichensetzung, das „Aschenputtel" der Rechtschreibung und Grammatik (Truss, S. 10), erst einmal aus seinem Dornröschenschlaf erweckt, stellen sich schon weitere Fragen:
Halten wir es wie Oscar Wilde, der einen ganzen Tag über ein Komma brüten konnte (Truss, S. 76)? Oder wie Theodor W. Adorno, der die Auffassung vertrat, weniger ist manchmal mehr:
Jedenfalls wird heute wohl der am besten fahren, der an die Regel, besser zuwenig als zuviel, sich hält. ... Jedes behutsam vermiedene Zeichen ist eine Reverenz, welche die Schrift dem Laut darbringt, den sie erstickt. (S. 173/174)
Schließen wir uns dem Trend an, auf das vertraute Semikolon zu verzichten, dessen Leistung mehr und mehr von Punkt und Komma übernommen wird, oder retten wir dieses Satzzeichen vor dem Aussterben?
Folgen wir den Usancen der elektronischen Kommunikation, und ersetzen wir den Punkt durch Ausrufezeichen?
Haben Satzeichen einen „physiognomischen Stellenwert", wie Theodor Adorno in seinen „Noten zur Literatur" zur Diskussion stellt:
Gleicht nicht das Ausrufezeichen dem drohend gehobenen Zeigefinger? Sind nicht Fragezeichen wie Blinklichter oder ein Augenaufschlag? Doppelpunkte ... sperren den Mund auf: weh dem Schriftsteller, der sie nicht nahrhaft füttert. (S. 163)
Und: Wie ist das Verhältnis von gesprochener Sprache zu geschriebener Sprache, und welche Rolle spielt die Zeichensetzung bei der Verschriftlichung von Gesprochenem?
Dass die Zeichensetzung ihre Wirkung weit über Sprache und Schrift hinaus in die Gesellschaft hinein entfaltet, belegt die Tatsache, dass die streikenden bolschewikischen Drucker von St. Petersburg im Jahre 1905 die gleiche Bezahlung für Satzzeichen wie für Buchstaben forderten und so die erste Russische Revolution einleiteten.
Quellenangaben & Literatur
Theodor Adorno: Satzzeichen. In: Noten zur Literatur 1. 1958. S. 163–174.
Ursula Bredel: Die Interpunktion des Deutschen. Ein kompositionelles System zur Online-Steuerung des Lesens. Tübingen. 2008.
Deutsche Rechtschreibung. Regeln und Wörterverzeichnis. Amtliche Regelung. Herausgegeben vom Rat für deutsche Rechtschreibung. 2006.
Wolfgang Krischke: Was heißt hier Deutsch? Kleine Geschichte der deutschen Sprache. München. 2009.
Henning van de Loo: „Kommt da eigentlich ein Komma hin?"– Ein Spaziergang durch ein nützliches Buch zum Thema Zeichensetzung. In: Neue Stenografische Praxis 4/2001. S. 97–106.
Daniel C. O'Connell/Sabine Kowal: Communicating with One Another. Toward a Psychology of Spontaneous Spoken Discourse. 2008.
Ulrich Püschel: So schreibt man jetzt! Das Übungsbuch zur neuen deutschen Rechtschreibung. Mannheim. Leipzig. Wien. Zürich. 2006.
Christian Stang/Dr. Anja Steinhauer: Komma, Punkt und alle anderen Satzzeichen. Mannheim, Zürich. 2011.
Lynne Truss: Eats, Shoots & Leaves. The Zero Tolerance Approach to Punctuation. New York. 2008. – Deutsche Übersetzung: Hier steht was alle suchen – Eats, Shoots and Leaves – Bärenstark in Zeichensetzung! 2005.
Matthias Wermke: Neue deutsche Rechtschreibung für Dummies. Weinheim. 2007.
www.br-online.de/kinder/fragen-verstehen/wissen/2007
www.theologische-links.de/downloads/archaeoligie/mescha_stele.html
www.typografie.info/2/content.php/119-Die-Geschichte-der-Interpunktion
www.uni-bielefeld.de/lili/personen/useelbach/STUD/Beschorner/interpunktion.htm
www.wikipedia.org/wiki/interrobang
* Modifizierte Fassung des auf der Fachtagung des Verbandes der Parlaments- und Verhandlungsstenografen am 5. November 2011 in Kiel gehaltenen Referats.