VERBAND DER PARLAMENTS- UND VERHANDLUNGSSTENOGRAFEN E.V.

2. Teil: Streifzug durch die Jetzt-Zeit

Die Zeitreise durch die Geschichte der Zeichensetzung im ers­ten Teil dieses Beitrags umfasste über 3 000 Jahre: von den ersten gemeißelten Punkten und Strichen auf der Mescha-Stele im Heiligen Land bis zu den Emoticons der globalen elektroni­schen Kommunikation. Diese Zeitreise veranschaulichte, wie komfortabel Schreiben und Lesen heutzutage sind. Denn das moderne Zeichensetzungssystem des Deutschen folgt einer verbindlichen Norm: Es verfügt über ein festes Inventar an Zei­chen, die grafische Gestalt der Zeichen und ihre Benennung sind festgelegt, und ihre Verwendung im Text ist geregelt. Doch trotz aller Normierung eröffnet das Regelwerk auch Gestaltungs­räume, die eine nuancierte und differenzierte Dar­stellung von Gedanken und Ideen in der geschriebenen Spra­che erlauben.

Folgen Sie mir nun auf einen Streifzug durch die Jetzt-Zeit. Da­bei gehen wir den Fragen nach, wie sich die Zeichensetzung in der Sprache widerspiegelt, wie das heutige Inventar der Zeichen­setzung beschaffen und normiert ist, welche vielfältigen Funktionen die Zeichensetzung erfüllt und welche Konse­quenzen dies für die Praxis des Textverfassens hat.

1. Die Zeichensetzung im Spiegel der Sprache

Die Zeichensetzung hat auf vielfältige Art Eingang in unsere Sprache und Kommunikation gefunden. So sagen wir: „Nun mach aber mal 'nen Punkt!" Und meinen: „Stopp! Bis hierhin und nicht weiter!" Oder wir sagen: „Du stehst da wie ein Frage­zeichen!" Und wir meinen damit: „Stell Dich endlich gerade hin! Mach nicht immer so einen Buckel!" Wir sagen auch: „Du redest heute wieder ohne Punkt und Komma!" Eigentlich meinen wir aber: „Geht's auch langsamer? Darf ich auch mal was sagen?"

Satzzeichen treten nicht nur in Redewendungen auf, sondern auch in dem uns allen bekannten Kinderreim: „Punkt, Punkt, Komma, Strich, fertig ist das Mondgesicht."

Redner artikulieren Satzzeichen, um ihren Aussagen schon beim Sprechen besonderen Nachdruck zu verleihen. Sie sagen: „Was wahr ist, ist wahr – Punkt." Sie formulieren auch: „Dieser Aspekt ist uns besonders wichtig – Ausrufezeichen." Oder es heißt: „Hinter diese Frage setze ich etliche Fragezeichen." Man kann hinter seine Frage stattdessen auch ein großes oder sogar ein dickes Fragezeichen setzen. Zu hören ist auch die Auf­forde­rung „Klammer auf", ihr folgt allerdings selten die Wendung „Klammer zu". Manchmal versagt die Sprache vollends: Statt die wunderschönen Wörter „Hasenöhrchen" oder „Gänse­füßchen" zu verwenden, werden die Anführungszeichen gestenreich in die Luft gemalt.

Schriftsteller verzichten in ihren Werken zuweilen ganz auf die Zeichensetzung, wie beispielsweise James Joyce in dem letzten Kapitel seines „Ulysses". Den inneren Monolog Molly Blooms gestaltet der irische Autor ohne jegliches Satzzeichen, was zwar die ohnehin anspruchsvolle Lektüre zusätzlich erschwert, das Mäandern des Gedankenstroms aber besonders anschaulich macht. – Der französische Schriftsteller Victor Hugo hingegen kommunizierte mit seinem Verleger per Telegramm ausschließ­lich mithilfe von Satzzeichen: Um die Verkaufszahlen seines Romans „Les Misérables" in Erfahrung zu bringen, telegrafierte er ein Fragezeichen, worauf ihm sein Verleger mit einem telegrafier­ten Ausrufezeichen antwortete (Truss, S. 117).

Auch die Wissenschaft nimmt die Zeichensetzung nicht mehr nur als Hintergrundphänomen, als in der Peripherie der Sprache befindlich wahr (O'Connell/Kowal, S. 80). Dabei stehen zwei Fragen im Fokus der wissenschaftlichen Betrachtung: zum ei­nen die Frage nach der historischen Entwicklung der Zeichen­setzung insgesamt und der einzelner Satzzeichen, zum anderen die Frage nach den Funktionen der einzelnen Satzzeichen und ihrer Bedeutung für das Lesen.

Die Sprache selbst, die Ausführungen von Literaten und auch die Wissenschaft legen Zeugnis davon ab, dass die Zeichen­setzung ein wichtiges Instrumentarium der Kommunikation zwi­schen Schreibenden und Lesenden ist. Die Zeichensetzung ist heute selbstverständlicher Teil der geschriebenen Sprache. Durch sie wird das rasche und eindeutige Verstehen von Texten erleichtert, wenn nicht gar erst möglich gemacht.

2. Das moderne Zeichensetzungssystem des Deutschen

Unter Zeichensetzung verstehen wir heute ein System grafi­scher Elemente, die der Gliederung im Satzinneren und zwi­schen Sätzen dienen. Wenden wir uns zunächst der Frage zu, welchen Stellenwert dieses System im geschriebenen Deutsch hat.

Unsere Schrift umfasst zwei Arten von Schriftzeichen: die alpha­betischen und die nicht alphabetischen Schriftzeichen. Unter die alphabetischen Schriftzeichen fallen die Buchstaben, und zwar sowohl die Klein- als auch die Großbuchstaben. Zur Gruppe der nicht alphabetischen Schriftzeichen gehören unter anderem: die arabischen und römischen Ziffern, die sogenannten informations­tragenden Sonderzeichen, wie zum Beispiel €, @, %, &, und mathematische Symbole sowie – last, but not least – die Zeichensetzung. All diese nicht alphabetischen Sonder­zeichen werden beim (lauten) Lesen verbalisiert. Wir formu­lieren also „Euro", „at", „Prozent" sowie „und". Bei den Satz­zeichen verhält es sich anders. Diese werden nicht verbalisiert; wir geben sie vielmehr durch die prosodische Gestaltung beim (lauten) Lesen wieder: durch Pausen, Betonungen, Rhythmus, Stimmführung usw.

Die Zeichensetzung ist also ein nicht alphabetisches System. Sie umfasst ein klar umrissenes Inventar von Zeichen: sowohl Satzzeichen als auch Wortzeichen. Satzzeichen markieren Sinnabschnitte und syntaktische Einheiten sowie Aspekte der Prosodie und können der stilistischen Gestaltung dienen. Wort­zeichen verdeutlichen dagegen morphemische Strukturen auf der Ebene der Wortbildung. Das im Folgenden dargestellte Inven­tar umfasst alle Zeichen, deren Anwendung im Amtlichen Regelwerk normiert ist; darüber hinaus gibt es weitere Zeichen (Bredel, S. 23/24), die in diesem Beitrag nicht behandelt wer­den.

Zu den Satzzeichen zählen zur Kennzeichnung des Satz­schlusses der Punkt, das Ausrufezeichen und das Frage­zeichen; zur Gliederung innerhalb von Sätzen das Komma, das Semikolon, der Doppelpunkt, der Gedankenstrich und die Klammern; und schließlich zur Anführung von Äußerungen oder Textstellen bzw. zur Hervorhebung von Wörtern oder Text­stellen die Anführungszeichen.

Zu den Wortzeichen gehören der Punkt nach Abkürzungen und nach Ordinalzahlen sowie zur Gliederung bei Ziffernschreibung und Datumsangaben, der Doppelpunkt als Verhältniszeichen zwischen Ziffern, der Schrägstrich, der Apostroph, der Binde­strich, der Ergänzungsstrich, der Trennstrich sowie zur Aus­lassung von Buchstaben und Wörtern die Auslassungspunkte.

Neben den Zeichen, die auf der Wort- oder der Satzebene ver­wen­det werden, kommt der Gedankenstrich auch auf der tex­tuellen Ebene vor. So kann zwischen Sätzen, die durch einen Punkt voneinander abgetrennt werden, der Gedanken­strich verwendet werden, beispielsweise um eine Pause zu markieren oder um das Absatzzeichen zu ersetzen.

Es gibt im Deutschen sogenannte paarige Satzzeichen wie die Anführungszeichen und die Klammern, Satzzeichen wie Komma und Gedankenstrich, die je nach Kontext paarig auftreten kön­nen, sowie solche Satzzeichen, die immer einfach verwendet werden wie Punkt, Ausrufezeichen, Fragezeichen, Semikolon und Doppelpunkt.

3. Normierung und Gestaltungsräume der Zeichen­setzung

Die Verwendung der Satzzeichen unterliegt im Deutschen ei­nem Regelwerk, das seit dem 1. August 2006 in deutschen Schulen und Behörden verbindlich ist. Dieses Regelwerk fußt auf einer 130‑jährigen Entwicklung der Vereinheitlichung der deutschen Rechtschreibung und damit auch der Zeichen­setzung. Denn schon 1876 verfasste Konrad Duden den „Ver­such einer deutschen Interpunktionslehre". Diese und folgende Bestrebungen mündeten 130 Jahre später in Teil E der Amt­lichen Regelung der deutschen Rechtschreibung.

Wer noch die 24. Auflage des Rechtschreibdudens besitzt, fin­det den Text des Regelwerks im Anhang, S. 1161–1216. Wer die 25. Auflage in Händen hält, greife auf das alphabetische Verzeichnis zu Rechtschreibung und Zeichensetzung, S. 25– 98, zurück. In Buchform liegt das Regelwerk ebenso vor, und zwar 2006 herausgegeben vom Rat für deutsche Recht­schrei­bung. Das Regelwerk ist auch über die Internetadresse http://rechtschreibrat.ids-mannheim.de für jedermann kostenfrei einsehbar und kann dort heruntergeladen werden.

Eine wertvolle Fundgrube ist darüber hinaus das 2011 neu aufge­legte Duden-Taschenbuch „Komma, Punkt und alle ande­ren Satzzeichen", das neben dem Regelteil und einem Register zum schnellen Nachschlagen eine Tabelle mit alphabetisch geord­ne­ten Konjunktionen von „aber" bis „zumal" zur Komma­setzung enthält. Henning van de Loo hat unter der Überschrift: „,Kommt da eigentlich ein Komma hin?' – Ein Spaziergang durch ein nützliches Buch zum Thema Zeichensetzung" eine Be­sprechung in der „Neuen Stenografischen Praxis" zu einer vorhe­rigen Auflage verfasst. Wer seine Kenntnisse der Zeichen­setzung einer Prüfung unterziehen möchte, greife zurück auf das Lehr- und Übungsbuch „So schreibt man jetzt!" des Duden­verlages.

Dank der Rechtschreibreform ist die Zeichensetzung seit 2006 also offizieller Teil der Rechtschreibung; wir verfügen daher über Regeln für die Anwendung der einzelnen Satzzeichen. Dabei handelt es sich vorwiegend um Mussregeln und um eini­ge Kannregeln. Zu den Letztgenannten gehört beispiels­weise die Kommasetzung bei Hauptsätzen, die mit „und" bzw. „oder" verbunden werden. Hier kann ein Komma gesetzt werden, muss aber nicht. Diese und andere Kannregeln führen zwar dazu, dass weniger Fehler gemacht werden, aber sie erschweren die Einheitlichkeit der Zeichensetzung innerhalb eines – vor allem längeren – Textes, an dem gegebenenfalls sogar mehrere Verfasse­rinnen und Verfasser beteiligt sind.

Darüber hinaus legt das Regelwerk fest, in welcher Weise die einzelnen Satzzeichen miteinander kombiniert werden können, zum Beispiel das Frage- und das Ausrufezeichen oder der Gedanken­strich und das Komma. Schlussendlich verweist das Regelwerk auf Möglichkeiten für die alternative Verwendung von Satzzeichen, insbesondere im Satzinneren, beispielsweise Semikolon statt Punkt bzw. Komma oder Gedankenstriche statt Kommas, um eine Parenthese darzustellen.

Wir müssen uns trotzdem deutlich vor Augen führen: Auch wenn die Zeichensetzung nun fester Teil der Rechtschreibung ist, so kann sie „nicht mit der Strenge und Ausschließlichkeit gehandhabt werden, die den Regeln der Rechtschreibung" (Stang/Steinhauer, S. 11) zukommen. Denn die Zeichensetzung ist auch ein Mittel der stilistischen Gestaltung. Dies wird beispiels­weise bei der Verwendung des Semikolons deutlich, das eine Mittelstellung zwischen Punkt und Komma einnimmt: Es trennt stärker als ein Komma und schwächer als ein Punkt. Daher haben die Schreibenden beim Semikolon einen größeren Spielraum als bei anderen Satzzeichen.

Schon Konrad Duden hat deutlich gemacht, dass die Zeichen­setzung gewisse Freiheiten zulässt. Seine einleitenden Worte im sogenannten Buchdruckerduden von 1903 sind auch heute noch gültig:

Nicht immer lassen sich die verschiedenen Zwecke der Zeichensetzung zugleich erreichen. Zuweilen erfordert die grammatische Gliederung ein Zeichen, wo der Redende keine Pause macht, und umgekehrt. Oft kann auch der Schreibende die Satzzeichen zur feineren Schattierung des Gedankens verwenden. Aus diesen Gründen lassen sich nicht für alle Fälle unbedingt gülti­ge Regeln aufstellen; es muß vielmehr dem Schrift­steller eine gewisse Freiheit bewahrt bleiben. In der Hauptsache bestehen jedoch feste Regeln, die überall zu befolgen sind, wo der Schriftsteller nicht anders be­stimmt. (Stang/Seinhauer, S. 11)

Auch wenn die Zeichensetzung im Deutschen stärker normiert ist als in anderen europäischen Sprachen, bleibt durch das Neben­einander von Muss- und Kannregeln und durch die alterna­tiven Möglichkeiten, Satzzeichen zu verwenden, ein Gestaltungs­raum, der die Freiheit, aber auch die Verantwortung des Textverfassens begründet. Zeichensetzung ist also niemals Selbstzweck und basiert nicht auf der schablonenhaften An­wendung von Regeln. Ihre Wirksamkeit beruht vielmehr auf ih­rer funktionalen Integration in den Text und ihrer differen­zierten Verwendung.

4. Die Funktionen der Zeichensetzung

Die bildhaftesten Versuche, die Funktionen der Zeichensetzung zu beschreiben, finden sich in dem Bestseller „Eats, Shoots & Leaves" der britischen Autorin Lynne Truss. Darin stellt sie zum einen die Geschichte der Zeichensetzung und die Funktionen einzelner Satz- und Wortzeichen anschaulich dar, zum anderen erzählt sie amüsante Geschichten rund um die Zeichensetzung. Der Buchtitel spielt auf eine dieser Geschichten an, in der ein Panda die Hauptrolle einnimmt. Ohne Komma gelesen isst der Panda Sprösslinge und Blätter, mit Komma gelesen isst, schießt und verzieht er sich.

Lynne Truss präsentiert in diesem Werk eine Vielzahl von Bil­dern, um die Funktionen der Zeichensetzung deutlich zu machen. So verweist sie darauf, dass uns Punkt, Komma & Co. wie Verkehrssignale durch die geschriebene Sprache leiten: „Punctuation marks are the traffic signals of language: they tell us to slow down, notice this, take a detour, and stop." (S. 22) Zeichensetzung kann auch als Faden verstanden werden, der das Textgewebe zusammenhält (S. 22). Sie vergleicht einen Text mit einem Zug, der mithilfe des Schienensystems Zeichen­setzung in der Spur gehalten wird (S. 25). Oder: So wie die Noten den Musiker beim Spielen leiten, dirigiert die Zeichen­setzung den Leser (S. 32). Für Lynne Truss ist ein Text ohne Zeichensetzung wie ein Gemälde ohne Konturen (S. 32). Führt man den Lesenden mithilfe der Zeichensetzung zum Textsinn, wird alles klar.

In der Sprache des Regelwerks liest sich dies in den Vor­bemerkungen zur Zeichensetzung so:

Die Satzzeichen sind Grenz- und Gliederungszeichen. Sie dienen insbesondere dazu, einen geschriebenen Text übersichtlich zu gestalten und ihn dadurch für den Lesenden überschaubar zu machen. Zudem kann der Schreibende mit den Satzzeichen besondere Aussage­absichten oder Einstellungen zum Ausdruck bringen oder stilistische Wirkungen anstreben.

Anders ausgedrückt: Die Zeichensetzung dient der Meta­kommunikation zwischen Schreibenden und Lesenden: Jedes Satzzeichen steuert den Lese- und damit den Verstehensprozess. Die einzelnen Satzzeichen erfüllen dabei vier Grundfunktionen: Sie transportieren Informationen über die a) inhaltlich-logischen sowie b) syntaktisch-gramma­ti­schen Bezüge, sie sind Ausdruck c) stilistischer Besonder­heiten der Schreibenden und simulieren d) prosodische Aspekte des (lauten) Lesens.

Betrachten wir dies beispielhaft am Punkt. So heißt es im Interpunktions­duden:

Der Punkt kennzeichnet das Ende eines Satzes im fortlaufenden Text. Er drückt eine längere Pause aus und deutet gewöhnlich eine Senkung der Stimme an. Der Punkt steht nach gewöhnlichen Aussagesätzen. (Stang/Steinhauer, S. 14)

Nach dieser Definition markiert der Punkt in dem so abgeteilten Textteil einerseits einen inhaltlich-logischen Bezug: Die Satz­grenze schließt eine Sinneinheit ab. Andererseits verweist der Punkt auf eine syntaktisch-grammatische Komponente, die Be­zug nimmt auf unser Wissen über die Satzbaupläne von Aussage­sätzen. Darüber hinaus simuliert der Punkt eine Pause und das Senken der Stimme, also prosodische Aspekte. Der Punkt insbesondere nach kurzen aufeinanderfolgenden Sinn­einheiten entfaltet eine intensive, staccatohafte Wirkung. Über­prüfen wir dies beim (lauten) Lesen folgender Szene:

Im Hausflur war es still. Ich drückte erwartungsvoll auf die Klingel. Ein Surren ertönte. Und ich trat ein.

5. Zeichensetzung in der Praxis

Abschließend stellt sich die Frage, wie man beim Textverfassen den vier oben beschriebenen Grundfunktionen der Zeichen­setzung gerecht werden kann. Welche Anforderungen werden also an eine angemessene Zeichensetzung gestellt? Hier sei der Versuch unternommen, einen Kriterienkatalog zu formu­lieren:

1. Regelwerkkonformität

Die Zeichensetzung folgt Teil E der Amtlichen Regelung der deutschen Rechtschreibung.

2. Einheitlichkeit

In den Fällen, in denen das Regelwerk Kannregeln vorsieht, also Varianten beispielsweise für die Kommasetzung zulässt, sollte eine einheitliche Variantenführung vorgenommen werden.

3. Konsistenz

In vergleichbaren Kontexten werden die gleichen Satzzeichen verwendet.

4. Textäquivalenz

Die Zeichensetzung gibt inhaltlich-logische und syntaktisch-grammatische Bezüge, stilistische Besonderheiten und proso­dische Aspekte wieder.

5. Minimalinvasivität

Getreu dem Motto „Weniger ist mehr" wird eine Zeichensetzung angestrebt, durch die unauffällige, leicht verständliche und allge­mein vertraute Schriftbilder entstehen.

6. Systematik

Im Satzinneren sollte insbesondere bei langen Sätzen ein differenzier­tes und fein abgestimmtes Zeichensystem Übersichtlich­keit schaffen.

Da allen Kriterien gleichermaßen zu entsprechen einer Quadra­tur des Kreises gleichkommt, gilt es, eine wohldurchdachte Ab­wägung vorzunehmen, um dem jeweiligen Einzelfall gerecht zu werden. Das Ziel muss die optimale Steuerung des Lese- und Verstehensprozesses sein. In diesem Sinne formuliert Matthias Wermke, Leiter der Dudenredaktion und Herausgeber des Rechtschreibdudens:

... so dient alles, was wir uns als Schreiber bei der Nieder­schrift von Wörtern, Sätzen und ganzen Texten abverlangen, einzig und allein dem bequemen Zugang des Lesers zu unseren Botschaften. Der Leser soll ohne optische Hemmnisse die niedergeschriebenen Informationen aufnehmen und verstehen können. Ne­ben der Rechtschreibung im engeren Sinne ist es vor allem die Zeichensetzung, die hierzu einen wesent­lichen Beitrag leistet. Wer Satzzeichen setzt, macht sich um den Leser verdient und kommt bei der Vermittlung seiner Inhalte weiter. (S. 149)

Ausblick

Haben wir die Zeichensetzung, das „Aschenputtel" der Recht­schreibung und Grammatik (Truss, S. 10), erst einmal aus sei­nem Dornröschenschlaf erweckt, stellen sich schon weitere Fragen:

Halten wir es wie Oscar Wilde, der einen ganzen Tag über ein Komma brüten konnte (Truss, S. 76)? Oder wie Theodor W. Adorno, der die Auffassung vertrat, weniger ist manchmal mehr:

Jedenfalls wird heute wohl der am besten fahren, der an die Regel, besser zuwenig als zuviel, sich hält. ... Jedes behutsam vermiedene Zeichen ist eine Reve­renz, welche die Schrift dem Laut darbringt, den sie er­stickt. (S. 173/174)

Schließen wir uns dem Trend an, auf das vertraute Semikolon zu verzichten, dessen Leistung mehr und mehr von Punkt und Komma übernommen wird, oder retten wir dieses Satzzeichen vor dem Aussterben?

Folgen wir den Usancen der elektronischen Kommunikation, und ersetzen wir den Punkt durch Ausrufezeichen?

Haben Satzeichen einen „physiognomischen Stellenwert", wie Theodor Adorno in seinen „Noten zur Literatur" zur Diskussion stellt:

Gleicht nicht das Ausrufezeichen dem drohend geho­benen Zeigefinger? Sind nicht Fragezeichen wie Blink­lichter oder ein Augenaufschlag? Doppelpunkte ... sperren den Mund auf: weh dem Schriftsteller, der sie nicht nahrhaft füttert. (S. 163)

Und: Wie ist das Verhältnis von gesprochener Sprache zu geschrie­bener Sprache, und welche Rolle spielt die Zeichen­setzung bei der Verschriftlichung von Gesprochenem?

Dass die Zeichensetzung ihre Wirkung weit über Sprache und Schrift hinaus in die Gesellschaft hinein entfaltet, belegt die Tat­sache, dass die streikenden bolschewikischen Drucker von St. Petersburg im Jahre 1905 die gleiche Bezahlung für Satz­zeichen wie für Buchstaben forderten und so die erste Russi­sche Revolution einleiteten.

Quellenangaben & Literatur

Theodor Adorno: Satzzeichen. In: Noten zur Literatur 1. 1958. S. 163–174.

Ursula Bredel: Die Interpunktion des Deutschen. Ein kompositio­nelles System zur Online-Steuerung des Lesens. Tübingen. 2008.

Deutsche Rechtschreibung. Regeln und Wörterverzeichnis. Amtliche Regelung. Herausgegeben vom Rat für deutsche Rechtschreibung. 2006.

Wolfgang Krischke: Was heißt hier Deutsch? Kleine Geschichte der deutschen Sprache. München. 2009.

Henning van de Loo: „Kommt da eigentlich ein Komma hin?"– Ein Spaziergang durch ein nützliches Buch zum Thema Zeichen­setzung. In: Neue Stenografische Praxis 4/2001. S. 97–106.

Daniel C. O'Connell/Sabine Kowal: Communicating with One Another. Toward a Psychology of Spontaneous Spoken Discourse. 2008.

Ulrich Püschel: So schreibt man jetzt! Das Übungsbuch zur neuen deutschen Rechtschreibung. Mannheim. Leipzig. Wien. Zürich. 2006.

Christian Stang/Dr. Anja Steinhauer: Komma, Punkt und alle anderen Satzzeichen. Mannheim, Zürich. 2011.

Lynne Truss: Eats, Shoots & Leaves. The Zero Tolerance Approach to Punctuation. New York. 2008. – Deutsche Über­setzung: Hier steht was alle suchen – Eats, Shoots and Leaves – Bärenstark in Zeichensetzung! 2005.

Matthias Wermke: Neue deutsche Rechtschreibung für Dummies. Weinheim. 2007.

www.br-online.de/kinder/fragen-verstehen/wissen/2007

www.theologische-links.de/downloads/archaeoligie/mescha_stele.html

www.typografie.info/2/content.php/119-Die-Geschichte-der-Interpunktion

www.uni-bielefeld.de/lili/personen/useelbach/STUD/Beschorner/interpunktion.htm

www.wikipedia.org/wiki/interrobang

* Modifizierte Fassung des auf der Fachtagung des Verbandes der Parlaments- und Verhandlungsstenografen am 5. November 2011 in Kiel gehaltenen Referats.