VERBAND DER PARLAMENTS- UND VERHANDLUNGSSTENOGRAFEN E.V.

aus: NStPr 58/2 (2010)

Eine der letzten Bastionen des Berufsstenografen, aus der er durch die Technik nicht so leicht verdrängt werden kann, ist das analytische Protokoll. Im Gegensatz zum Wortprotokoll wird hier der Inhalt einer Rede stark verkürzt wiedergegeben. Eine Abgrenzung zum so genannten scheinwörtlichen Protokoll besteht darin, dass dieses meist ausführlicher ist, in direkter Rede wiedergegeben wird und den Eindruck erweckt, als habe der Redner nicht mehr gesagt. In vielen deutschen Parlamenten werden insbesondere für die Sitzungen der Ausschüsse analytische Protokolle gewünscht.

 

Zweck des analytischen Protokolls

Für den Leser bedeutet das analytische Protokoll eine erhebliche Erleichterung, weil er optisch mit weit weniger Textfülle konfrontiert wird, ohne dass er auf wichtige Informationen verzichten muss. Für den Stenografen hingegen verringert sich sein zeitlicher und intellektueller Aufwand nicht. Im Gegenteil, er soll in der Regel das Gesagte geistig durchdringen, während er sich beim Wortprotokoll überwiegend, wenn auch nicht immer, auf die bloße Redaktion beschränken kann. Nur mit solcher geistiger Durchdringung kann er beim analytischen Protokoll entscheiden, was weggelassen, was gerafft wiedergegeben und was umformuliert wird. Je besser er den Inhalt des Gesagten nachvollziehen kann, umso leichter tut er sich, umso eleganter wirkt der Text. Das ist der Normalfall. Wir erleben aber alle hin und wieder die Situation: Ein Redebeitrag ist derart komplex und fachlich schwierig, dass wir nicht verstehen, was der Redner meint. Das kann etwa bei schwierigen naturwissenschaftlichen Aussagen der Fall sein. Dann hilft nur noch die scheinwörtliche Wiedergabe in indirekter Rede, will der Protokollführer nicht Gefahr laufen, durch zu freie Wiedergabe des Gesprochenen einen inhaltlichen Fehler zu produzieren, oder aber er gibt den Beitrag ausnahmsweise in wörtlicher Rede wieder mit dem Einleitungssatz „X führt wörtlich aus". Übrigens steht der Stenograf vor demselben Problem bei schwachen Rednern, die inhaltlich nichts aussagen oder nicht das sagen, was sie eigentlich meinen. In diesem Fall ist ebenfalls zu empfehlen, sich möglichst eng an den Wortlaut zu klammern, oder – eine Empfehlung für Mutige oder schon auf Lebenszeit ernannte Beamte – man lässt den Beitrag gleich weg.

Eine zeitliche Ersparnis ist mit der Erstellung eines analytischen Protokolls nur bedingt verbunden. Der Auslassung von Textteilen steht eine größere geistige Anstrengung gegenüber. Immerhin spart man sich bei der Übertragung in Druckschrift, also bei der Arbeit am PC, erhebliche Schreibarbeit ein.

Tipps zur Verkürzung

Ich erspare mir, breit darzustellen, was am besten weggelassen werden kann. Stichwortartig können unübertragen bleiben:

– Höflichkeitsformeln (Ich eröffne die 23. Sitzung des Ausschusses. Ich erteile dem Abg. X das Wort. Bitte sehr. – Meine Damen und Herren!),

– Überflüssiges (z. B. die ausführliche Wiedergabe des Antrags, der als Drucksache vorliegt),

– Pleonasmen und Redundanzen (ich persönlich, nach meiner Auffassung, meines Erachtens),

– weniger wichtige Aussagen (Ich habe das in diesem Gremium schon öfter beklagt),

– Wiederholungen, Zusammenfassungen und Paraphrasierungen (meist gegen Ende eines Redebeitrags),

– Ausmalungen (Ich habe gestern stundenlang gegoogelt, um herauszufinden ...)

und so weiter. Hier gilt der Grundsatz Learning by Doing.

Allerdings möchte ich zwei bewährte „Tricks" hervorheben:

Erstens. Viele Redner neigen dazu, den Kern ihres Anliegens erst gegen oder am Schluss der Rede zu bringen. Vorher bauen sie den Inhalt wie eine klassische Tragödie auf, mit retardierenden Momenten und Beschreibungen, und sie kommen erst allmählich zum Höhepunkt. Wir Protokollführer bringen diesen Höhepunkt bereits in der Einleitung, weil der Leser als Erster wissen will: Welche Meinung vertritt der Redner? Auf diese Weise erzielen wir gleichzeitig Kürze, weil die Hinführung zur Kernaussage nicht mehr so ausführlich zu sein braucht.

Zweitens. Nebensätze lassen sich häufig durch Adverbien ersetzen: Statt: Er bedauere es in diesem Zusammenhang, dass ihm mehr nicht möglich sei. einfach: Mehr sei ihm leider nicht möglich.

Statt: Er freue sich, dass ... einfach: Erfreulicherweise ...

Statt: Es ist bekannt, dass ... einfach: Bekanntlich.

Weiter gilt: Langatmige Sätze und Schachtelsätze können wesentlich leichter verkürzt und zerhackt werden, als das beim Wortprotokoll möglich ist. Ich möchte das an einem Beispiel aus Heinrich von Kleists „Die Verlobung in St. Domingo" darstellen – bei Kleist wimmelt es ja nur so von langen Sätzen –:

Doch da dieser, unter krampfhaften Anstrengungen, sich loszuwinden, nichts anderes hervorbrachte, als, auf jämmerlich schmerzhafte Weise: o Toni! o Toni! so nahm die Mutter das Wort und bedeutete ihm, daß er ein Schweizer sei, namens Gustav von der Ried, und daß er mit einer ganzen Familie europäischer Hunde, welche in diesem Augenblick in den Berghöhlen am Möwenweiher versteckt sei, von dem Küstenplatz Fort Dauphin komme.

Dieses 66 Wörter umfassende Satzungetüm würde ich für ein analytisches Protokoll so verkürzen:

Dieser habe krampfhaft versucht, sich loszuwinden und schmerzhaft gerufen: o Toni! Nun habe ihm die Mutter bedeutet, dass er, Toni, ein Schweizer namens Gustav von der Ried sei. Er habe in den Berghöhlen am Möwenweiher europäische Hunde versteckt und komme mit ihnen von dem Küstenplatz Fort Dauphin.

Zum Umfang des analytischen Protokolls kann keine allgemeingültige Empfehlung gegeben werden. Es kommt darauf an! Immerhin möchte ich den Grundsatz aufstellen: Wer nur wenig weglässt, außer in besonders inhaltsdichten Texten, wird dem Sinn des analytischen Protokolls nicht gerecht, siehe die Eingangsbemerkungen. Das andere Extrem, eine Stunde Diskussion auf zwei Seiten wiederzugeben, wird langfristig den Arbeitgeber oder Auftraggeber vor die Frage stellen, warum er teure Stenografen für ein Produkt bezahlen soll, das jemand in Langschrift auch noch zu Papier brächte. Nach meinen Erfahrungen liegt ein guter Schnitt bei etwa 40 Prozent Wiedergabe des Originaltextes. Wenn also ein Wortprotokoll je Stunde Redezeit 28 Seiten eineinhalbzeilig ausmacht, sollte das analytische Protokoll elf bis zwölf Seiten umfassen. Wer weniger als die 40 Prozent übertragen will, ohne Inhalte wegzulassen, ist zwar sehr ehrgeizig, braucht aber wegen erhöhter geistiger Leistung mehr Zeit.

Wiedergabe in indirekter Rede

In analytischen Protokollen bedient sich der Stenograf üblicherweise der indirekten Rede und damit des Konjunktivs, auch wenn da und dort solche Protokolle im Indikativ erstellt werden. Das gibt dem Protokoll die erforderliche Distanz und Objektivität. Ich traue solches dem Leserkreis dieser Zeitschrift kaum zu sagen, halte es aber mit Sokrates, dass der höchste Erkenntnisgrad das Eingeständnis ist,  nichts oder jedenfalls nicht alles zu wissen. Wer sich etwa sicher ist, folgende Sätze, die selbst in anspruchsvollem Ambiente auftauchen, seien richtig, der liegt falsch: Offenbar nahm sie an, Ballmann käme aus dem Büro (Herbert Rosendorfer in „Ballmanns Leiden"). Er sagte, er hätte jetzt Appetit auf ein Schnitzel. Denn das wäre seine Leibspeise. Richtig im Standarddeutschen sind hier nur die Formen komme, habe, sei. Die anderen Formen sind nur umgangssprachlich akzeptabel. Aber auch wer das schon lange weiß, kann vielleicht in diesem kleinen Aufsatz fündig werden, indem er sich etwa die Frage gefallen lässt: Wie heißt der Konjunktiv I (also der Konjunktiv Präsens) von ich gehe? Die vielleicht erstaunliche Antwort ist: ich gehe oder ich ginge. Beides gilt im Falle der 1. Person Singular und Plural sowie der 3. Person Plural als Konjunktiv I! Näheres dazu weiter unten.

Im Alltagsdeutsch fast ausgestorben, außer in Wendungen wie sei's drum, ist der Konjunktiv I in Zitaten nach Verben des Sagens, Erklärens, Feststellens usw. zwingend, jedenfalls in stilreinem Deutsch: Ministerpräsident X erklärte, er halte es derzeit nicht für opportun, diese Subvention zu kürzen. Der Präsident des Bundes der Steuerzahler stellte fest, noch nie habe der Rechnungshof so viel Verschwendung beanstandet. Vor allem die Parlamente bedienten sich ungeniert aus dem Steuertopf.

Die indirekte Rede im Sprachenvergleich

Die indirekte Rede mit Konjunktiv ist übrigens eine Eigenheit gerade der deutschen Sprache. Im Lateinischen gibt es die indirekte Rede in Form der Oratio obliqua. Im Englischen oder im Niederländischen gibt es zwar nach Einleitungswörtern einen Nebensatz, eingeleitet mit oder ohne that bzw. dat, aber keinen Konjunktiv im Nebensatz. Ähnliches gilt für slawische Sprachen, soweit mir bekannt. In den ansonsten in den Konjunktiv verliebten romanischen Sprachen, die den Konjunktiv I sogar in der Umgangssprache verwenden, finden wir in der indirekten Rede grundsätzlich keinen Konjunktiv (ausgenommen nach bestimmten Einleitungen). Um anzudeuten, dass in längeren Passagen immer noch der Redner zitiert wird, müssen sich diese Sprachen anders behelfen, zum Beispiel durch die Wiederholung des Einleitungswortes oder den Einschub eines weiteren Einleitungswortes: „Weiter erklärte er, dass ...", „Er fuhr sodann fort ...". Im Deutschen brauchen wir solche Behelfe nicht. Theoretisch genügt ein einziges Einleitungswort, um ein ganzes Buch in der indirekten Rede abzufassen. Denn die eigentliche Aussage eines Sprechers könnte endlos im Konjunktiv wiedergegeben werden, ohne dass ein Zweifel bestünde, wer hinter der Aussage steht.

Der deutsche Konjunktiv

Der Konjunktiv Präsens oder kürzer Konjunktiv I gibt das gegenwärtige, reale Geschehen wieder, sieht man einmal von Feinheiten ab: Jeder weiß, was so ein Mai-/Käfer für ein Vogel sei (Wilhelm Busch). Der Konjunktiv II drückt, vereinfacht gesagt, etwas Irreales aus: Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne, aber die Seele verlöre? (Matthäus 16, 26.)

Häufigster Fehler beim Gebrauch der indirekten Rede ist die falsche Anwendung des Konjunktivs II statt einer Form des Konjunktivs I: Er sagte, er wäre (richtig: sei) gegen zehn Uhr zu Hause. Wäre ist Konjunktiv II (auch Konjunktiv der Vergangenheit genannt), sei Konjunktiv I (Konjunktiv Präsens). Spricht jemand im Konjunktiv I, erwartet er im Beispielsfall, um zehn Uhr tatsächlich zu Hause zu sein; denn seine Aussage lautet in direkter Rede: „Ich bin um zehn Uhr zu Hause." Spricht jemand im Konjunktiv II, meint er: Er wird in Wirklichkeit nicht um zehn Uhr zu Hause sein (Unwirklichkeit der Aussage). Oder aber er meint: Ich wünsche mir, um zehn Uhr zu Hause zu sein, weiß es aber nicht sicher (nicht sicher erfüllbarer Wunsch).

Den Konjunktiv II erkennt man daran, dass ein Konditionalsatz hinzugedacht werden kann: Ich wäre um zehn Uhr zu Hause, wenn ich nicht Überstunden machen müsste (Unwirklichkeit). Ich wäre (gern) um zehn Uhr zu Hause, wenn es sich irgendwie machen ließe (Wunsch). In den meisten Fällen soll in der indirekten Rede der ursprüngliche Indikativ wiedergegeben werden.

Wenn Sie sich unsicher sind, ob der indirekten Rede eine Tatsache („ich bin um zehn Uhr zu Hause") oder ein Wunsch bzw. eine Unwirklichkeit zu Grunde liegt, machen Sie die Gegenprobe, indem Sie die indirekte Rede in die direkte setzen:

Indirekte Rede: Er sagte, er wäre (?) jetzt mit seinem Latein am Ende. Direkte Rede: Er sagte: „Ich bin jetzt mit meinem Latein am Ende." - Wäre ist daher zu korrigieren in sei.

Der Konjunktiv II der indirekten Rede ist identisch mit dem Konjunktiv II der direkten Aussage. Der Konjunktiv II wird auch Konjunktiv der Vergangenheit genannt. Das sind die Fälle eines eher unerfüllbaren Wunsches, der Konditionalsätze und der Unwirklichkeit. Beispiel:

Er sagte: „Es wäre phantastisch, wenn sie mit mir zum Essen ginge." (direkte Rede) Er sagte, es wäre phantastisch, wenn sie mit ihm zum Essen ginge. (indirekte Rede)

Wenig realistischer Wunsch: Ach hätte ich doch mehr Geld!

Konditionalsatz: Wenn es nicht regnete, ginge ich aus. = Regnete es nicht, ginge ich aus.

Unwirklichkeit: Er tat, als ob er es nicht verstünde.

Formenlehre des Konjunktivs

Um uns den Gebrauch der indirekten Rede weiter zu erschließen, sollten wir uns über die Formen von Konjunktiv I und Konjunktiv II klar werden. Der Konjunktiv I gibt das Präsens wieder, der Konjunktiv II, wie gerade erläutert, einen Wunsch, eine Bedingung sowie die Unwirklichkeit und in der indirekten Rede auch die Vergangenheit. Die Formen lauten:

Indikativ Präsens Konjunktiv I

ich gehe                                                                   ich gehe

du gehst                                                                  du gehest

er/sie/es geht                                                           er/sie/es gehe

wir gehen                                                                 wir gehen

ihr geht                                                                    ihr gehet

sie gehen                                                                 sie gehen

Indikativ Imperfekt Konjunktiv II

ich ging                                                                 ich ginge (würde gehen)

du gingst                                                               du gingest (würdest gehen)

er/sie/es ging                                                         er/sie/es ginge (würde gehen)

wir gingen                                                             wir gingen (würden gehen)

ihr gingt                                                                ihr ginget (würdet gehen)

sie gingen                                                             sie gingen (würden gehen)

Dazu ist anzumerken:

Erstens. In der ersten Person Singular und Plural sowie in der dritten Person Plural unterscheidet sich der Konjunktiv I nicht vom Indikativ Präsens. In der 3. Person Singular ist der Konjunktiv I deutlich erkennbar. In der zweiten Person Singular und Plural unterscheidet sich der Konjunktiv I immerhin durch ein eingeschobenes e. Soweit die Formen des Konjunktivs I vom Indikativ Präsens abweichen, habe ich dies durch Fettdruck hervorgehoben.

Zweitens. In der ersten und dritten Person Plural unterscheidet sich der Konjunktiv II meistens nicht vom Indikativ Imperfekt, das heißt wir/sie gingen kann sowohl die Bedeutung haben wir/sie sind gegangen oder wir/sie würden gehen. Auch beim Konjunktiv II habe ich die Abweichungen vom Indikativ durch Fettdruck hervorgehoben.

Wegen dieser teilweisen Identität von Konjunktiv I und Indikativ Präsens (ich wiederhole: in der ersten Person Singular und Plural sowie in der dritten Person Plural) gibt es für die indirekte Rede im Präsens eine Mischung aus Konjunktiv I und Konjunktiv II (nicht für die indirekte Rede in der Vergangenheit). Das heißt, für die genannten identischen Formen werden die Formen des Konjunktivs II auch dann verwendet, wenn die Aussage im Präsens steht. Dazu bedarf es jetzt der Erörterung des Konjunktivs II.

Der Konjunktiv II bietet zwei mögliche Verbformen. Die eine wird gebildet mit dem Hilfsverb würde(n) und Infinitiv. Die Form mit würde(n) ist unerlässlich bei Verben, deren Stammvokal (Inlaut) sich in der Vergangenheitsform nicht ändert: ich wirke – ich wirkte, Konjunktiv II daher: ich würde wirken. Sie ist wahlweise möglich bei Verben, deren Stammvokal sich in der Vergangenheitsform und damit im Konjunktiv II ändert: ich würde gehen.

Bei den starken Verben, deren Inlaut sich im Imperfekt ändert, ist der Konjunktiv II meistens aus der Imperfektform zu entwickeln: ich ging – ich ginge, ich begann – ich begänne oder begönne, ich wusste – ich wüsste. Wahlweise wird auch die Kombination mit dem Hilfszeitwort würde(n) zugelassen. Dann heißt es: ich würde gehen, ich würde beginnen, ich würde wissen. Bei den starken Verben sollte das Hilfszeitwort würde(n) allerdings aus stilistischen Gründen vermieden werden. (Dass der Konjunktiv II bei schwach gebeugten Verben auch mit der einfachen Vergangenheitsform gebildet werden kann – ich wirkte etc. –, ist eine Feinheit, die in diesem Zusammenhang nicht vertieft zu werden braucht.)

Das Hilfsverb sein (ich bin, du bist usw.) und andere Hilfsverben wie müssen haben den Vorzug, dass sämtliche Formen des Konjunktivs I von den Formen des Indikativs der Gegenwart verschieden sind: ich sei, du seiest, er/sie/es sei, wir seien, ihr seiet, sie seien; ich müsse usw. Deshalb ist mit diesen Hilfszeitwörtern die indirekte Rede am leichtesten zu bilden.

Als Exkurs sei noch angemerkt: Im Konditionalsatz wird der Satzteil, der mit wenn oder durch Inversion (Umstellung von Subjekt oder Prädikat) gebildet wird, in der gehobenen Sprache nicht durch die zusammengesetzte Form des Konjunktivs II mit würde/n wiedergegeben, sondern bei den stark gebeugten Verben durch Abwandlung des Inlauts (wenn ich ginge), bei den schwach gebeugten Verben durch die entsprechende Form der einfachen Vergangenheit (wenn ich wirkte).

Nachdem nun der Konjunktiv II erörtert wurde, kommen wir auf den Konjunktiv I zurück. Da, wie gesagt, im Konjunktiv I die Konjunktivformen nicht immer von den Indikativformen zu unterscheiden sind, wendet man in der indirekten Rede die Formen des Konjunktivs II selbst dann an, wenn der Sprecher in direkter Rede in der Gegenwart gesprochen hat. Das betrifft, ich sage es gern zum dritten Mal, die erste Person Singular, die erste Person Plural und die dritte Person Plural.

Beispiel für das starke Verb „gehen":

Indikativ Präsens                                                              Konjunktiv der indirekten Rede (Konjunktiv I gefet­tet, i. Ü. Konjunk­tiv II)

ich gehe                                                                 ich ginge

du gehst                                                               du gehest/gingest

er/sie/es geht                                                        er/sie/es gehe

wir gehen                                                             wir gingen

ihr geht                                                                ihr gehet/ginget

sie gehen                                                             sie gingen

Beispiel für das schwache Verb „wirken":

ich wirke                                                              ich wirkte

du wirkst                                                             du wirkest/wirktest

er/sie/es wirkt                                                      er/sie/es wirke

wir wirken                                                            wir wirkten

ihr wirkt                                                               ihr wirket/wirktet

sie wirken                                                            sie wirkten

Zusammengefasst lässt sich sagen: Einen eigentlichen oder eindeutigen Konjunktiv I (also Konjunktiv des Präsens) gibt es nur in der dritten Person Singular; das ist immerhin die häufigste Form in der indirekten Rede. In allen anderen Personen wird der Konjunktiv Präsens in Wirklichkeit mit den Formen des Konjunktivs der Vergangenheit (Konjunktiv II) gebildet. Eine Ausnahme gilt nur für das Hilfszeitwort sein, bei dem sich der Konjunktiv I durchgehend verwenden lässt (sei usw.).

Die Zeiten in der indirekten Rede

Stand die direkte Aussage in der Vergangenheit, gleichviel ob in der einfachen Vergangenheit oder im Perfekt, wird die indirekte Rede wie folgt wiedergegeben:

Direkte Rede                                                           Indirekte Rede

Er sagte: „Gestern war ich im Schwimmbad."                Er sagte, er sei ges­tern im Schwimmbad gewesen.

Sie sagten: „Wir sind spazieren gegangen."                  Sie sagten, sie seien spazieren gegangen.

Sie sagte: „Anna lachte/hat gelacht."                          Sie sagte, Anna habe gelacht.

Das Plusquamperfekt wird in der indirekten Rede so gebildet: Direkte Rede <-> Indirekte Rede

Nachdem es zu regnen aufgehört hatte, betraten wir wieder die Straße. <-> Sie erzählten, nachdem es zu regnen aufge­hört gehabt habe, hätten sie wieder die Straße betre­ten.

Eleganter aber: Sie erzählten, nachdem es zu regnen aufge­hört habe, hätten sie wie­der die Straße betreten.

Das Futur geht so: Direkte Rede <-> Indirekte Rede

Morgen wird die Entscheidung fallen. <-> Er meinte, mor­gen werde die Entscheidung fallen.

Beachten Sie bitte, dass es für die indirekte Rede im Deutschen egal ist, in welcher Zeit das Einleitungswort steht. Die oben in der rechten Spalte gezeigten Beispiele bleiben auch dann gleich, wenn das Einleitungswort im Präsens oder im Futur steht („Er sagt/sagte, er habe laut gelacht"; „Sie werden erzählen, nachdem es geregnet habe ..."). Im Englischen zum Beispiel muss die indirekte Rede angepasst werden (he says it will do, aber: he said it would do).

Indikativ statt Konjunktiv

Bleibt die Frage, ob der Indikativ – abgesehen von den Einleitungs­verben – im analytischen Protokoll noch einen Platz hat. Hier sollte das Sprachgefühl entscheiden. Ich persönlich wende den Indikativ ab und zu an, weil dann der Stil aufgelockert wird, etwa wenn ein Thema, ein Problem oder eine Frage im Nebensatz wiedergegeben wird: Die Frage, ob hier die Zinsabschlagsteuer anfällt, müsse er mit dem Finanzministerium noch klären.

Auch in Relativsätzen kann oft der Indikativ verwendet werden, wenn der Relativsatz keine Wertung des Redners enthält: Diejenigen, die solche kostspieligen Anträge stellen, müssten die Gegenfinanzierung darlegen.

Stilistisches

Nach so viel trockener Grammatik noch einige Stilfragen. Manche Formen stark gebeugter Verben klingen im Konjunktiv II so archaisch oder ungewohnt, dass es erlaubt sein muss, die Formen mit würde usw. zu wählen. Ein Satz wie „Er würbe ihn gern als Mitarbeiter an, wenn dem Betrieb nur genug Geld zuflösse" darf auch wiedergegeben werden mit: „Er würde ihn gern als Mitarbeiter anwerben, wenn dem Betrieb nur genug Geld zufließen würde." Deshalb geben die neueren Bibelübersetzungen das oben genannte Zitat nach Matthäus so wieder: Was hilft es dem Menschen, wenn er die Welt gewinnt, aber die Seele verliert? Ich persönlich benutze in der Schriftform konsequent die alten Formen, denn ich stürbe vor Gram, wenn ich die flachen würde‑Formen anzuwenden begänne.

Allerdings klingen umgangssprachliche Verben im Konjunktiv reichlich merkwürdig, weil der Konjunktiv I zur höheren Sprachebene gehört.

Direkte Rede <-> Indirekte Rede

Das klappt ja hervorragend. <-> Er sagte, das klappe ja her­vorragend.

In solchen Fällen ist entweder eine Umschreibung zu empfehlen (Er sagte, das gelinge hervorragend) oder eine Rückkehr zur direkten Rede, gekennzeichnet durch Anführungszeichen (Er sagte: „Das klappt hervorragend").

Eine Frage sollte in indirekter Rede nicht mit einem Fragezeichen wiedergegeben werden (Sei denn das möglich?), sondern mit Einleitungswörtern:

Er wirft die Frage auf, ob die Möglichkeit hierzu bestehe.

Er erkundigt sich, ob die Möglichkeit hierzu bestehe.

Er will wissen, wie die Chancen stünden.

Ich kenne allerdings Stenografen, die auch in der indirekten Rede mit dem direkten Fragesatz – im Konjunktiv – arbeiten:

Bestehe die Möglichkeit hierzu?

Handelt es sich nur um Verständnisfragen, kann auf ihre Wiedergabe mitunter ganz verzichtet werden, wenn sie ein weiterer Redner anschließend beantwortet; denn aus der Antwort geht die Frage hervor. Mehrere Fragesteller können dann zusammengefasst werden:

Auf die Fragen der Abg. Huber und Meier teilt Ministerialrat Weber mit, dass ...

Die Medien pflegen statt eines konjunktivischen Nebensatzes mitunter die Einleitung durch Verwendung bestimmter Verben zu verkürzen. Das lockert den Text auf und fasst – insbesondere im knapp bemessenen Raum für Zeitungsüberschriften – die Aussage zusammen. Wir Stenografen sollten uns das zu eigen machen.

Statt: Der Minister erklärte, er sei für den Bundeswehreinsatz. Die Opposition lehnte dies ab, weil dadurch der Verteidigungshaushalt noch mehr belastet werde. Sie vertrat den Standpunkt, dass die Polizei verstärkt werden müsse.

schreibe man kürzer: Der Minister sprach sich für den Bundeswehreinsatz aus. Die Opposition warnte vor den zusätzlichen Belastungen für den Verteidigungshaushalt. Sie forderte stattdessen polizeiliche Verstärkung.

Im Übermaß sollte davon nicht Gebrauch gemacht werden, weil dadurch die Gefahr erhöht wird, in den Substantivstil zu verfallen. Nach einem solchen eingliedrigen Einleitungssatz kann übrigens entweder ein weiteres Einleitungsverb mit Nebensatz in indirekter Rede folgen, oder es kann ohne weiteres Einleitungsverb in indirekter Rede fortgefahren werden; hier ist wieder das Sprachgefühl entscheidend:

Der Sprecher der Opposition bezeichnete den Vorschlag als nicht zielführend. Er räumte ein, dass für den Gesetzesantrag ein gewisses Bedürfnis bestehe. In der vorliegenden Formulierung werde aber der beabsichtigte Zweck nicht erreicht.

Oder:

Der Sprecher der Opposition bezeichnete den Vorschlag als nicht zielführend. Für den Gesetzesantrag bestehe zwar ein gewisses Bedürfnis. In der vorliegenden Form werde aber der beabsichtigte Zweck nicht erreicht.

Vermeiden Sie aber unbedingt Formulierungen wie: Abg. Wagner begreift den tieferen Sinn des Antrags nicht.

Selbst wenn er wörtlich sagte: „Ich begreife den tieferen Sinn des Antrags nicht", kann das in einem Protokoll mit indirekter Rede brüskierend wirken, so als halte der Protokollführer den Redner für dumm.

Eigenarten des Redners

Auch wenn das analytische Protokoll eine viel weiter gehende Redaktion und Glättung des gesprochenen Worts erlaubt als das Wortprotokoll, darf nicht die Eigenart des Redners und seiner Sprache verloren gehen. Wenn der Redner im vorangegangenen Beispiel von „zielführend" spricht, sollte man nicht den Cheflektor spielen und aus „zielführend" ein „zweckmäßig" machen, weil einem etwa der vom Sprecher benutzte Ausdruck als ausgelutschtes Modewort missfällt. Selbst derbe umgangssprachliche Worte müssen so wiedergegeben werden, wie sie gefallen sind, es sei denn, es handelt sich ersichtlich um eine nicht für die Öffentlichkeit bestimmte Textpassage. Das könnte etwa aus einem deutlich gesenkten Tonfall folgen.

Weiter: Fast jeder Redner hat seine Lieblingsfloskeln, die er in der Rede ständig wiederholt, zum Beispiel „im Grunde genommen" oder „wirklich" plus Adjektiv. Nun wäre es aber falsch, diese Floskeln durchgehend zu streichen oder das „wirklich" im zweiten Beispiel stets durch „sehr" zu ersetzen. Sparsam in den Text eingestreut, geben solche Lieblingswörter die Eigenarten des Redners wieder. Der Redner wird nicht brüskiert, und trotzdem erkennt er sich im Protokoll wieder.

„Wir" in der indirekten Rede

Erhebliche Schwierigkeiten kann es dem Stenografen bereiten, die persönlichen Fürwörter der 1. Person, insbesondere wir, in der indirekten Rede wiederzugeben. Die indirekte Rede wird ja bis auf wenige Ausnahmen in der 3. Person Singular oder Plural wiedergegeben. Wenn der Abgeordnete X von der Regierungspartei im Ausschuss als Berichterstatter eines Antrags sagt:

„Wir haben dieses Anliegen schon seit den 80er‑Jahren verfolgt",

kann sich das wir beziehen auf

– die Antragsteller, wenn nicht alle Mitglieder der Regierungspartei unterschrieben haben,

– die Mitglieder der Regierungspartei im Ausschuss,

– den Ausschuss insgesamt,

– alle Mitglieder der Regierungspartei, also die Parlamentsfraktion,

– das Parlament insgesamt,

– die Regierung,

– die Partei insgesamt, also auch die Nichtparlamentarier,

– das Land oder den Bund.

Meist wird sich der Stenograf mithilfe des Textumfelds oder aufgrund der Thematik auf das richtige Subjekt festlegen können: Die SPD habe dieses Anliegen ... Tückischerweise sind aber gerade wichtige Aussagen, die im Protokoll nicht weggelassen werden können, zwei- oder mehrdeutig. Da hilft es nur, beim Redner telefonisch nachzufragen. Wenn der aber gerade in Sibirien weilt, um mit russischen Kollegen die Bedeutung der Hackschnitzelheizung zu besprechen, was dann? Besser als gar nichts kann hier eine unpersönliche Konstruktion sein:

Man habe dieses Anliegen schon seit den 80er‑Jahren verfolgt.

Dieses Anliegen werde schon seit den 80er‑Jahren verfolgt.

Mitunter ist auch die Wahl eines sehr allgemeinen Abstraktums passend:

Die Politik/Der Staat habe dieses Anliegen schon seit den 80er‑Jahren verfolgt.

Im äußersten Fall wechsle man in die direkte wörtliche Rede und kennzeichne sie mit Anführungszeichen. In diesem Zusammenhang sei angemerkt: Das unpersönliche Fürwort man sollte im analytischen Protokoll nur sehr sparsam verwendet werden, weil sonst offenkundig werden könnte, dass sich der Stenograf nicht auf ein Subjekt festlegen kann oder will.

Liste der wichtigsten Einleitungsverben

Damit der Untertitel „Eine Handreichung für Einsteiger" seinem Anspruch vollends gerecht wird, soll hier noch ein „Spickzettel" zusammengestellt werden für denjenigen, dem nach zehn Stunden Stenogrammübertragung als Einleitungswort nur mehr das Verb sagen einfällt. Es gab in dieser Zeitschrift schon vor vielen Jahren eine solche Liste des Bundestagsstenografen Herrgesell, die aber wohl nur wenigen zur Verfügung steht. Übrigens kann das Einleitungswort im Präsens oder in der Vergangenheit stehen. Das richtet sich nach der Gepflogenheit des parlamentarischen Gremiums. Wenn – wie im Bayerischen Landtag – Präsens verwendet wird, klingt das allgemeine Einleitungswort sagen nach meinem Gefühl etwas deplatziert. Dagegen erscheint es mir im Präteritum eleganter: Abg. Huber sagte, er sei nicht glücklich über diesen Antrag.

Einleitungswörter für längere Ausführungen: ausführen, darlegen, vortragen, berichten, erläutern

Einleitungswörter für kürzere Ausführungen: meinen, darauf hinweisen, darauf aufmerksam machen, hervorheben, unterstreichen, bekräftigen, feststellen , bemerken, anmerken , äußern, erklären, betonen, daran erinnern, mitteilen , fortfahren, einflechten, einwerfen,

Einleitungswörter mit subjektivem Einschlag: (be-)fürchten, (be-)zweifeln, einräumen (im Sinne von „eingestehen"), kritisieren, plädieren, fordern, wünschen, davor warnen, bedauern, empfehlen, anregen

Einleitungswörter für eine Frage: wissen wollen, sich erkundigen, fragen, die Frage aufwerfen, die Frage in den Raum stellen, sich wundern

Einleitungswörter für Zustimmung: zustimmen, sich der/dieser Meinung anschließen, bestätigen, die/diese Meinung teilen, begrüßen, befürworten

Einleitungswörter der Ablehnung oder der Gegensätzlichkeit: ablehnen, sich widersetzen, versetzen , einwenden, verneinen, erwidern, widersprechen, entgegnen, kritisieren

Einleitungswörter der Zusage: zusagen, versprechen, in Aussicht stellen, sich bereit erklären, zusichern, versichern, ankündigen

Einleitungswörter, die einen Nebensatz oft entbehrlich machen (siehe oben „Stilistisches"): halten für, bezeichnen als, empfinden als, bewerten als, finden, empfehlen, werten als, nennen, bescheinigen (jemandem etwas), beurteilen als, betrachten als, warnen vor, ablehnen, wiedergeben kritisieren, bedauern, (be-)fürchten, loben, begrüßen